Unterwegs mit unserem Wohnmobil Balu

Die Welt ist zu schön, um darüber hinweg zu fliegen

Von Uttenreuth nach Sarajevo

Dank guter Vorbereitung (Balu ist bereits am Wochenende bis auf wenige Kleinigkeiten gepackt) schaffen wir es am Mittwochmorgen (8.9.) gegen 10:30 abzufahren. Es geht entlang der uns von unseren Segelurlauben in Kroatien altbekannten Strecke über Passau, Linz, Graz, bis kurz vor die slowenische Grenze.

Die erste Nacht verbringen wir auf einem Stellplatz bei Leibnitz an dem kleinen Flüsschen Sulm. Der Platz besteht aus einer Wiese neben einem Naturbad. Bei der Anmeldung im Freibad ist die erste Frage: Seid’s gimpft? Und man kontrolliert sogar unsere Impfnachweise.

Außer uns ist noch ein anderes Wohnmobil am Platz, mit Anhänger auf dem eine große Fahne montiert ist. Auf diesem Anhänger steht eine komplette Zapfanlage und ein Gasgrill, die Fahne ist die einer kleinen Brauerei in Leoben, wo das Paar herkommt. Kaum sind wir ausgestiegen, wird uns eine Halbe frisch gezapften Biers angeboten und man erkundigt sich, wo denn Balu sei.  Die beiden haben angenommen, dass „Balu on Tour“ bedeutet, dass wir unseren Hund Balu dabeihaben und der hätte so schön mit ihren beiden Hunden spielen können. Später als wir wegen der Kälte innen beim Essen sitzen, bringt der Nachbar uns nochmal zwei Halbe vorbei! Wir sinken gut abgefüllt ins Bett und schlafen tief und fest.

In der Nacht geht die Temperatur auf 11 Grad zurück. Ulrike bereut, ihre Daunenweste nicht mitgenommen zu haben. Am nächsten Morgen (9.9.) kommen wir auf der Fahrt zurück zur Autobahn doch glatt an einem Sportbekleidungshaus vorbei. Schnell geparkt, eine Steppweste gekauft und wieder weiter. Das dürfte für Ulrike der schnellste Kleidungskauf ihres Lebens gewesen sein.

Vor der slowenischen Grenze stehen Leuchttafeln mit der Aufschrift: „3G Nachweise bereithalten“, kontrolliert werden sie aber nicht. Es geht schnell durch Slowenien auf der nun vollständig fertiggestellten Autobahn an die kroatische Grenze. Hier werden zwar die Pässe kontrolliert, aber Impfausweise interessieren niemanden.

Im Ort Slunj strömt überall das Wasser

Am Nachmittag trinken wir noch einen Kaffee in Slunj und sind dann schnell an unserem Treffpunkt auf dem Campingplatz an den Plitwitzer Seen. Beim Check-In treffen wir Guide Werner und auch unsere Schweizer Reisefreunde von der Oman Reise Alois und Christina.

Der Rest der Gruppe trudelt nach und nach ein und am nächsten Nachmittag (10.9.) sind wir komplett. Erstaunlicherweise ist die Gruppe klein, nur acht Fahrzeuge, vier Schweizer und vier Deutsche, dazu zwei Teamfahrzeuge mit Werner und seiner Frau und in einem Vierrad Fahrzeug mit Schrauber Gerd und seiner Freundin. Nach dem ersten Treffen gibt es ein gemeinsames Abendessen und nette Gespräche.  Fast alle hatten große Fernreisen im Sinn und sind, als diese abgesagt wurden, auf die Balkantour umgestiegen.

Am ersten offiziellen Reisetag (11.9.) fahren wir zur nahen Grenze nach Bosnien-Herzegowina. Die Einreise dauert ca. eine halbe Stunde, Pässe und Impfausweise werden kontrolliert, ein Test hätte nicht gereicht!

An der bosnischen Grenze

Interessant ist der Wandel im Bild der Dörfer: auf der kroatischen Seite in der Ortsmitte jeweils ein Kirchlein, auf der bosnischen sieht es genauso aus, nur steht hier eine Moschee statt der Kirche. Wir fahren durch schönes bergiges Land mit vielen weiten Wiesen und Wäldern. Im Städtchen Bihac halten wir nur kurz an einem Supermarkt an um einzukaufen. Wir wurden gewarnt, dass hier die Kriminalität höher sei als sonst im Land, weil Bihac die letzte Stadt vor der Grenze zur EU ist und viele Flüchtlinge in der Region unterwegs seien, die versuchen, in die EU zu kommen. Tatsächlich sehen wir in der Umgebung auffällig viele junge Männer an infolge des Krieges verlassenen Häusern und auch vor dem Supermarkt stehen junge Männer und fahren die Einkaufswägen für die Einheimischen zurück, um die Münzen zu bekommen. Sie wirken allesamt nicht gefährlich, sondern nur mitleiderregend. Sie wollen ins gelobte Land, d.h. die EU und hängen nun hier fest.

Die Straßen sind gut, die Dörfer gepflegt, überall große neue Supermärkte und auffällig viele Tankstellen. Lästig sind nur die vielen, gefühlt willkürlich angeordneten Geschwindigkeitsbegrenzungen. Maximal erlaubt sind außerorts 80 km/h, was aber eigentlich nie gefahren werden darf. Entweder weil es den Berg hinauf/ oder hinuntergeht (60 oder gar 40 vorgeschrieben) oder weil ein Ortsschild steht, obwohl keine Häuser an der Straße stehen (50). Wir kommen also nur sehr langsam vorwärts und halten uns angesichts der nicht wenigen „Starenkästen“ auch lieber an die Begrenzungen. Mittags biegen wir in eine kleine Nebenstraße ab (viele der abzweigenden Straßen sind nicht geteert) und picknicken mit einem wunderbaren Blick ins weite Land. In der Zeit passieren uns zwei Autos, deren Fahrer freundlich winken.

Picknick am Rand eines Nebensträßchens

Waren die Dörfer nahe der Grenze muslimisch geprägt, so sind sie weiter im Landesinneren mal christlich, mal muslimisch. Außerdem fällt uns auf, dass die Ortsschilder im christlichen Bereich zuerst kyrillisch und dann lateinisch beschriftet sind und dass die Fahnen nicht blau gelb, sondern rot-blau-weiß sind. Das lässt erkennen, dass wir uns in der Republik Srpska befinden. In der bosnischen Föderation steht nämlich der lateinische Name oben. Das kleine Bosnien ist nämlich nochmals unterteilt: in die bosnische Föderation und eben jene Republik mit völlig anderer Verwaltungsstruktur und überwiegend bewohnt von orthodoxen bosnischen Serben. Die Republik hat ihren eigenen Präsidenten, die Föderation sogar drei: einen Bosniaken (muslimisch), einen Kroaten (katholisch) und einen Serben (orthodox). Sie teilen sich die vierjährige Amtszeit, indem sie alle 8 Monate wechseln. Die Armee der Republik Srpska hat übrigens das Massaker von Srebrenica im Bosnienkrieg zu verantworten.

Am frühen Nachmittag haben wir die 180 km Tagesetappe absolviert und kommen in Jajce an, gelegen in der bosnischen Föderation. Hier gibt es zwei große Seen und viele Wasserfälle und eben die mittelalterliche Stadt selbst. Der Campingplatz ist 5 km außerhalb und schön gelegen und auch ansonsten gepflegt. Wir machen noch einen Spaziergang zu den Wassermühlen unweit des Campingplatzes. Hier ist viel los, viele Ausflügler und eine Hochzeitsgesellschaft. Der Kleidungsstil ist bunt gemischt, alles zwischen muslimisch und kurzem Rock ist vertreten. Auffällig ist, dass niemand eine Maske trägt und niemand sich an irgendwelche Abstandsregeln hält (außer uns).

 

Wassermühlen am Pliva Fluss nahe Jajce

Am nächsten Morgen holt uns der lokale Führer Dragan ab und wir fahren mit Taxis nach Jajce. In Jajce gibt es die älteste Kirche Bosniens (später zur Moschee umgewidmet, heute eine Ruine), Katakomben mit alt bosnischen christlichen Symbolen (Kreuz, Sonne, Mond), eine Burg, eine alte Frauenmoschee und natürlich die 20 m hohen Wasserfälle. Sie liegen in einem wunderschönen Park und sind gut besucht von einheimischen Ausflüglern.

In den Katakomben

Ruine der ältesten Kirche Bosniens

Festung in Jajce

Festung in Jajce

Wasserfall in Jajce

Stadttor in Jajce

Saal, in dem die Gründung Jugoslawiens ausgearbeitet wurde

Jajce war vor der Eroberung durch die Osmanen der Sitz der bosnischen Könige und hier hat die Gründung Jugoslawiens stattgefunden. Die muslimischen Bosniaken stellen die Mehrheit und damit auch den Bürgermeister, die kroatischen christlichen Bosnier sind in der Minderheit, sind aber in Handel und Gewerbe tonangebend, so dass sich laut Dragan ein Gleichgewicht eingestellt hat und das Zusammenleben funktioniert. Seine Ausführungen sind sehr interessant, und wirken durchdacht und fundiert und geben uns sehr zu denken. Die Kinder besuchen z.B. nach Religion getrennte Schulen und haben keine Berührungspunkte mit den Kindern der anderen Volksgruppen, so dass sich Vorurteile gut halten können. Eine gemischt konfessionelle Ehe sei unvorstellbar. Die Prägung durch den Krieg ist extrem, jede Seite hat Verwandte, die getötet wurden und ist nicht bereit zu vergessen. Die jungen Leute wollten ein offeneres Leben, könnten sich aber gegen die ältere Generation (noch) nicht durchsetzen und viele würden ins Ausland abwandern. Demokratie sei von der EU vorgegeben, aber nicht von innen gewünscht worden, denn das hieße ja auch, den anderen Volksgruppen die gleichen Rechte zugestehen zu müssen.  Im Krieg seien Kirchen und Moscheen als erstes zerstört worden, denn sie stellen einen Besitzanspruch dar: Hier war man schon immer muslimisch bzw. christlich, für etwas anderes ist hier kein Platz. Dragan erzählt auch, dass in der Region viele der älteren christlichen Frauen an den Armen tätowiert sind. Dies sei eine alte Tradition aus der osmanischen Zeit als man so die Mädchen vor dem osmanischen Pascha schützen wollte, der das Recht der ersten Nacht ausgeübt hat. Eine Frau mit Tätowierung galt als unrein und der Pascha verlor das Interesse.

Wir kehren in Jajce noch in einem bosnischen Restaurant ein und essen eine für die Gegend typische Suppe (ist die Anreise nicht wert) und fahren dann mit dem Taxi zurück. Der interessante Tag endet mit gemeinsamem Grillen und einem üppigen Salatbuffet.

Am 13.9. geht es Richtung Sarajevo. Allerdings mit leichter Verzögerung denn vor Balu ist die Straße gesperrt wegen einer Kranzniederlegung an einem Kriegerdenkmal für Gefallene der kroatischen Volksgruppe. Ein Soldat spielt auf der Trompete, ein Priester hält einen kurzen Gedenkgottesdienst, uns bleibt nichts, als zu warten.

Bei der einzigen weiteren Attraktion auf der heutigen Strecke, christlichen Grabkreuzen aus der osmanischen Zeit gerät ein Schweizer Reisekollege in Not. Wir haben ein Stück oberhalb an einer Kirche geparkt (an der jede Menge Einschusslöcher zu sehen sind) und sind das restliche Stück gelaufen. Er hat die direkte Anfahrt über einen schmalen und steilen Weg gewählt, wollte wenden und ist mit dem Heck in die Friedhofsmauer gerutscht und hängt dort fest. Guide Gerd mit dem Abenteuer Osten Allrad Fahrzeug ist glücklicherweise in der Nähe und zieht ihn mit Hilfe seiner Seilwinde von der Mauer weg.

Altes christliches Grabkreuz

Abschleppmanöver

Der Rest des Tages verläuft ereignislos. Die Straßen werden schlechter, die Dörfer ärmlicher und die modernen Supermärkte rarer. Dafür ist der Campingplatz in Sarajevo schön und man hört den Muezzin rufen! An diesem Abend gibt es die erste Einführung zur Geschichte Bosniens durch den lokalen Guide Mohamed der uns morgen durch Sarajevo führen wird.

Am Morgen des 14.9. geht es als erstes zum Tunnel, der im Krieg unter der Landebahn des Flughafens hindurch gegraben wurde, um die Stadt zu versorgen. Sarajevo war fast komplett von den Serben umstellt, nur der Flughafen war in der Hand französischer UN Truppen. Über 1000 Zivilisten sind beim Versuch die Landebahn zu überqueren erschossen worden, weil die französischen Truppen diese nachts beleuchtet haben und so die Menschen leicht zu erkennen waren. Daher wurde der 800 m lange, 1.60 m hohe Tunnel 1993 von den Bosniaken von Hand unter der Landebahn hindurch gegraben.

Belagerungsring der serbischen Armee um die Stadt. Eingekreist in blau ist die Landebahn des Flughafens, die unter UN Hoheit stand
Blick in den Tunnel

 

Am Tunneleingang eine Rose von Sarajevo. Diese markieren überall in der Stadt Orte, an denen Gruppen von Menschen von Granaten getötet wurden

In der Stadt gab es kaum mehr Wasser, Lebensmittel, Brennholz, Medikamente und auch keinen Strom mehr und sie war kontinuierlich unter Beschuss durch die serbische Armee, die Granaten von den umgebenden Hügeln in die Stadt hinein feuerten. In der belagerten Stadt schossen Heckenschützen aus den Hochhäusern auf der serbischen Seite auf Zivilisten, die sich in den Straßen bewegten. Im Schnitt waren es jeden Tag über 300 Granaten, am schlimmsten Tag 3777. Die Blockade der Stadt begann 1992 und dauerte 1425 Tage, 11.000 Menschen wurden getötet, 56.000 verletzt und 35.000 Gebäude zerstört. Eine schlimme Geschichte und entsprechend niederdrückend ist der Tunnel und der Informationsfilm, der dort gezeigt wird.

Blick von der Anhöhe auf die Stadt

Die Stadt selber ist sehr interessant, wenn auch an vielen Stellen sanierungsbedürftig. Die Lage erinnert an Stuttgart, die Stadt liegt in einem Kessel und die Bebauung zieht sich die umliegenden Berge hoch. Wir sehen natürlich die Straßenecke, an der der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau erschossen wurden, was der Zündfunke für den ersten Weltkrieg darstellte. Das osmanische Viertel gefällt uns besonders gut, schöne Gassen und mehrere Moscheen. Das geht dann nahtlos in die Jugendstil Viertel über, die die Österreicher erbaut haben.

Am rechten Ende der Brücke liegt der Ort, wo Franz Ferdinand und seine Frau von einem serbischen Attentäter getötet wurden
Rathaus, erbaut in der österreichischen Zeit
Im österreichischen Stadtteil
Markthalle
30 große Eier kosten 4,5 €
Blick vom Vorplatz des Doms
Der Dom mit einer Statue von Papst Franziskus
Auch Tragödien kann man touristisch nutzen
Der Text soll das Urteil der Serben über bosnische Frauen wiedergeben

Die Moschee

 

Links beten die Frauen, rechts die Männer
Glockenturm, der die islamische Zeit anzeigt
Einer der vielen alten islamischen Friedhöfe
Im Bazar
Bosnische Schönheit

Souvenirs der anderen Art

Alles in allem ein sehr informativer Tag, auch wenn wir hier natürlich die bosniakische Seite der Geschichte hören und nicht die serbische. Das Hauptproblem scheint uns, dass die verschiedenen Volksgruppen Bosniens sich gegenseitig nicht als Landsleute empfinden die einfach nur unterschiedlichen Religionen angehören. Die Angehörigkeit zu ihrer Volksgruppe (=Religion) ist wichtiger, da nutzen die einheitlichen Pässe und Nummernschilder nichts und dass sie die gleiche Sprache sprechen auch nicht. Wie das in der Zukunft mit diesem Land und diesem Konflikt weitergehen soll erscheint uns fraglich, insbesondere wo viele der jungen Leute in die EU abwandern, weil die beruflichen Aussichten in ihrem Heimatland so schlecht sind.

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9 Antworten

  1. Sehr interessant!!!
    Ich bin gerade wieder einmal in Nikosia, der zwischen Griechen und Türken geteilten Hauptstadt Zyperns. Da herrschen leider auch gegenseitige Animositäten, wie man bei Besuchen auf beiden Seiten feststellen muss, und ein Ende der Teilung ist auch nicht absehbar!

  2. Liebe Ulrike, lieber Peter,
    vielen Dank für den interessanten Reisebericht und die tollen Bilder.
    Wir wünschen euch eine gute Weiterreise und bleibt gesund.
    Viele liebe Grüße
    Elisabeth und Thomas

  3. Liebe Ulrike, lieber Peter,

    vielen Dank für Euren sehr interessanten ersten Reisebericht. Wir haben viel daraus zur jüngsten Geschichte und der aktuellen Situation gelernt und wünschen Euch weiterhin ein gute Reise.
    Alles Gute, Norbert und Dagmar

  4. Sehr interessant zu lesen und anzuschauen, liebe Ulrike und lieber Peter. Weiter so! Und schön zu erfahren, dass es Euch gut geht. Wir wünsche Euch eine schöne Weiterreise und freuen uns auf den nächsten Bericht.
    Viele Grüße von
    Roland und Corinna

  5. Liebe Ulrike, lieber Peter,
    wie bei eurer letzten Reise verfolge ich eure Reise mit großem Interesse.
    Es ist sehr schòn, dass ich euch aus der Ferne begleiten kann.
    Alles Gute weiter fűr euch und noch viele schöne Erlebnisse wűnscht euch Irmgard mit Manfred

  6. Wieder habe ich etwas gelernt. Vielen dank für euren Bericht und die Fotos.
    Gute Weiterreise wünscht euch
    Gerd

  7. Hallo Ihr Reisende,
    Mit großem Interesse habe ich diesen Bericht gelesen. Wir wünschen Euch einen weiterhin guten Verlauf. Kommt gesund wieder.

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